Tinnitus und Gamma-Aminobuttersäure (GABA)
Tinnitus: Ich höre was, was du nicht hörst - und 5% der Bevölkerung kennen es besser, als es ihnen lieb ist.
Überall auf der Welt gibt es ständig Geräusche. Betrachten wir eine Stadt: Auch sie hat ihr eigenes, ganz spezifisches Grundgeräusch. Sind Sie neu in einer Stadt, lauschen Sie erst einmal neugierig und versuchen vielleicht sogar, dieses oder jenes herauszuhören oder zu interpretieren. Bereits nach kurzer Zeit nehmen Sie das Grundgeräusch jedoch gar nicht mehr wahr. Es wurde einfach ausgeblendet.
Ganz genauso wie mit der Stadt verhält es sich auch mit dem menschlichen Körper. Er steckt voller verschiedenster Geräusche. Denken Sie an Ihren Herzschlag oder daran, wie das Blut durch Ihre Adern fließt. Sie nehmen die Geräusche in Ihrem Körper - mit wenigen Ausnahmen - nicht wahr. Ein Sonderfall entsteht beispielsweise, wenn Sie sich bewusst auf Ihre Atmung konzentrieren. Jetzt hören Sie - je nachdem, ob Sie durch Nase oder Mund atmen - das Atemgeräusch an der entsprechenden Stelle ganz bewusst. Ist Ihre Aufmerksamkeit nicht mehr darauf gelenkt, kehrt wieder Ruhe ein.
Verglichen mit dem Sehen, ist das Hören eine weniger aktive Angelegenheit. Gefällt Ihnen ein Anblick nicht, so wenden Sie sich ab oder schließen die Augen. Einfach mal so weghören oder über-hören klappt nicht ganz so simpel. Die Ohren lassen sich zwar zuhalten, jedoch nicht abschalten.
Tinnitus ist ein akustischer Sinneseindruck, der zusätzlich zum Schall, welcher auf das Ohr trifft, wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung beruht auf einer Störung der Hörfunktion und hat nichts mit den Geräuschen in der Umgebung des Patienten zu tun. Die Art der scheinbar wahrgenommenen Geräusche kann vielfältig sein. Die Palette reicht von Brummen, Pfeifen, Zischen und Rauschen über Donnern und Zwitschern bis hin zum Stimmengewirr.
Neuste Untersuchungen zeigen, dass bei Tinnitus Neuronen unmotivierte Signale aussenden - also scheinbar grundlos. Studien in den Proceedings of the National Academy of Sciences (2011; doi: 10.1073/pnas.1107998108) belegen die unter Experten verbreitete Ansicht, nach der die Ohrgeräusche durch eine neuronale Reorganisation im Bereich der Hörrinde entstehen. Vergleichbar wäre das in etwa mit der Entstehung von Phantomschmerzen nach Amputationen.
Diese "Amputation", die zum Tinnitus führt, ist im Innenohr lokalisiert. Die Zerstörung von Haarzellen führt zu einer "Unterbeschäftigung" von Nervenzellen in der Hörrinde. Laut Shaowen Bao von der Universität von Kalifornien in Berkely hat das eine Übererregbarkeit der dortigen Neuronen zur Folge. Es kommt zu Nervenimpulsen, die vom Betroffenen als Ohrgeräusch wahrgenommen werden.
Der Forscher fand heraus, dass Tinnitus mit einem niedrigeren Spiegel des hemmenden Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobutansäure) einhergeht, welcher normalerweise der Aussendung von Signalen aufgrund von übererregten Neuronen in der Hörrinde verhindert.
GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter des Zentralnervensystems. Das bedeutet, er entscheidet darüber, wie schnell bzw. ob eine Botschaft von einer Synapse zur anderen übertragen wird oder nicht.
Die Entwicklung und Funktion des menschlichen Gehirns hängt wesentlich von der Verfügbarkeit von GABA ab. Zahlreiche Gesundheitsstörungen wie Schlaflosigkeit, das prämenstruelle Syndrom (PMS), Epilepsie und Schizophrenie stehen ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit einem Mangel an GABA.